20071018

Das Psalmen beten

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(About praying the psalms). Was das Breviergebet so schön und doch wieder so schwer macht, das sind die Psalmen. Für ein fruchtbares Breviergebet ist es nun eine Kardinalfrage: wie soll ich die Psalmen beten? Sie sind ja doch Gebete, Lieder aus ferner Zeit, aus dem jüdischen Gedankenkreis heraus; dazu in einer unvollkommenen, mitunter sogar schlechten Übersetzung. Wenn die Psalmen auch inspiriert sind, so fragt es sich doch immer: kann ich sie zum Ausdruck meines Gebetslebens machen? Eine Speise nährt mich nicht, wenn ich sie nicht assimilieren (Anm.: aufnehmen, gebrauchen, verdauen) kann. Ich frage: kann ich die Psalmen als Gebetsnahrung assimilieren? Ich leugne nicht, dass die angeführten Bedenken erste Schwierigkeiten sind. Und wir sehen tatsächlich, dass sich so mancher Brevierbeter an der unverdauten Speise (verzeihen sie den Ausdruck) seinen Magen verdorben, das heißt durch das unverstandene Beten der Psalmen sein Gebetsleben gefährdet hat. Dennoch behaupte ich, diese Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Ich gebe zu, dass einige Psalmen leichter, manche wieder schwerer ins Gebetsleben aufgenommen werden können, doch möglich ist es, man muss sich die Psalmen nur 'erobern'; sie sind und bleiben für alle Zeiten die vielsaitige Harfe, auf der wir alle Saiten unsrer Gebetsbedürfnisse anschlagen, der wir alle Töne unseres Herzens entlocken können. Bedingung aber ist: wir müssen eben spielen lernen; auch da fällt kein Meister vom Himmel.

Ich brauche wohl nichts zu sagen vom ästhetischen Wert der Psalmen; es sind darunter Lieder, die einen Ehrenplatz in der Weltliteratur einnehmen; ich brauche auch nicht zu betonen, dass sie uns Christen teuer sein müssen, weil sie die Apostel, Jesus Christus gebetet haben, weil sie den Urbestand der Liturgie bilden. Soll ich daran erinnern, dass sie inspiriert, als Worte Gottes, Gebetsformeln des Heiligen Geistes sind? Diese Gedanken müssen wir uns öfters wiederholen, auf dass wir voll Ehrfurcht zu den Psalmen emporblicken.

Doch das Psalmen beten? Es wäre interessant, eine Geschichte des Psalmenbetens, des Psalmenverstehens zu verfolgen. In den ersten christlichen Jahrhunderten waren die Psalmen wirklich fast der einzige Ausdruck des Gebetslebens; aus dieser Zeit stammt wohl auch die Parole der Kirche: Jede Woche den ganzen Psalter! Wenn wir hören, dass zur Zeit des heiligen Hieronymus die Bauern hinter dem Pfluge, die Handwerker in den Werkstätten Psalmen gesungen haben, so klingt uns das heute ganz unerhört. Die Psalmen mussten also nicht nur den Priestern, sondern auch den Laien in Fleisch und Blut übergegangen sein. Und dass man damals die Psalmen nicht bloß mechanisch gebetet, sondern in ihnen gelebt hat, das beweisen die Psalmenhomilien des christlichen Altertums von Origenes, Eusebius, Gregor von Nyssa, Hilarius, Chrysostomus, Ambrosius, Augustinus. Nach den großen Kirchenvätern geht das Psalmenbeten und -verstehen immer mehr verloren. Aber die Kirche hält daran fest, dass das offizielle Gebetsleben sich an den Psalmen empor ranke. Ich frage: haben die Brevierbeter zu allen Zeiten die Psalmen zum Ausdruck ihrer inneren Gebetsregungen gemacht? Ich wage es nicht, es allgemein zu bejahen. Sie haben das Offizium als Gebet der Kirche hoch geschätzt, doch ihr eigentliches Gebetsleben haben sie oft in andere Formen gehüllt. Der Großteil der Priester betet heute (Anm.: 1936 a.d.) die Psalmen verständnislos, mechanisch; wenn sie andächtig und fromm beten wollen, dann greifen sie zum Rosenkranz und anderen Andachten. Ja, oft wird ihnen ans Herz gelegt, außer dem pflichtmäßigen Brevier nur ja ein Morgen- und Abendgebet zu beten. Das zeigt, dass man das Brevier als Stundengebet nicht mehr kennt. Der Priester findet im Brevier hinreichend viel Gebetsformeln, in die er sein Gebetsleben kleiden kann, er findet Befriedigung für alle seine Gebetsbedürfnisse in der idealsten Form, er muss nur sein Offizium zeitgerecht und gut beten lernen. Der Priester bräuchte außer dem Brevier nicht einmal ein Vaterunser mehr beten. Gebetsformeln findet er da genug und Gebetsinhalt, worauf es doch ankommt, kann er in diese schönen Formen hinein gießen, soviel er will; fühlt er sich angetrieben, mehr zu beten, dann soll er eben doppelt so viel Zeit auf sein Brevier verwenden. Wir müssen wieder lernen, unser Gebetsleben in das Brevier und in die Psalmen hinein zu legen.

Doch ich frage, wie kann ich eine Gebetsform, die ganz anderen Gedankenkreisen, dem Alten Testament, angehört, zum Ausdruck meines Innenlebens machen? Die Psalmen enthalten die ganze Skala der Gebetsregungen und ich kann sie auch für mich verwenden, wenn ich zwei Dinge beachte:

1. Wenn ich sie aus der konkreten Situation heraus hebe und ihnen ein allgemein gültiges und für mich persönliches Gepräge gebe (das heißt aus diesem Kampf, aus der Judengeschichte, heraus hebe und den Kampfplatz in mein Herz, oder in das Gottesreich verlege);

2. wenn ich sie in den Ideen und Gedanken verchristliche (man nennt das den Vollsinn einer Stelle). Das ist möglich, zumal da das Alte Testament nicht so unüberbrückbar vom Neuen verschieden ist, und da derselbe Heilige Geist aus den Liedern spricht, der auch in unseren Herzen betet. - Dann halten wir an dem Grundsatz fest: suchen wir möglichst den Literalsinn der Psalmen zu erfassen; aus dem Literalsinn holen wir heraus, was wir heraus holen können, und wir werden viel finden, wenn es uns ernst ist.

Viele stoßen sich an den verhältnismäßig zahlreichen Bitt- Klage-, Leidens- und Fluchpsalmen. Es scheint auf den ersten Blick, als fänden wir bei diesen keinen seelischen Anschluss, denn die Beter sind in der Regel nicht solchen Verfolgungen und Anfeindungen ausgesetzt wie der Sänger der Psalmen.

Da gilt es, diese aus der historischen und persönlichen Enge heraus zu heben: diese Psalmen stellen den Kampf der Hölle gegen das Gottesreich in ecclesia et anima dar. Durch alle Zeiten tobt der Kampf der Hölle gegen Gott und Gottesreich, durch alle Zeiten betet die Kirche im Brevier die drei letzten Vaterunserbitten, aber in weit ausgreifender Umschreibung: vergib uns unsere Schuld, führe uns nicht in Versuchung, erlöse uns von dem Übel. Und da vergessen wir nicht, dass wir im Namen der Kirche beten.

Hier ein Wort über die so genannten Fluchpsalmen, die dem christlichen Beter die größten Schwierigkeiten bereiten. Die Klagen und Bitten sind in den Psalmen oft in die naturhafte, urwüchsige Form des Fluches gekleidet. Der natürliche Mensch drückt seinen Unwillen gegen das Böse eben in dieser Form aus. Dass wir Christen dem verbesserungsfähigen Sünder nichts Böses wünschen, das ist ganz selbstverständlich. Die Psalmen haben ja auch mit persönlichen Feindschaften nichts zu tun. Das Thema all unseres Betens ist Gottesreich und Sünde, und der Fluch in den Psalmen ist nur der urwüchsige Ausdruck unseres absoluten Protestes gegen die Sünde und Hölle. Verwandeln wir also den Optativ des Fluches in den Indikativ; dann wird der Fluch zum Ausdruck der göttlichen Gerechtigkeit und wir sprechen ihn dann nicht aus eigenem Munde, sondern aus dem Munde Christi oder der Kirche. Der Fluch wird gleichsam zu einem Weh, das der Heiland über die Pharisäer gesprochen hat. Ich finde gerade in diesen Fluchstellen etwas ganz Erschütterndes, Grandioses: der gerechte Gott und Richter tritt da vor den Beter und warnt vor der Hölle. Halten wir beim Beten der Psalmen daran fest, dass es sich da nicht um kleinliche, irdische, egoistische Ziele in unserem Leben handelt, sondern stellen wir unser ganzes liturgisches Beten in den großen Rahmen des Kampfes zwischen Hölle und Gottesreich. Dann werden wir leicht eine innere Beziehung zu diesen Gebeten finden. Dann sind beide an dem Beten stark beteiligt, die Kirche, in deren Herzen alle großen Nöten der Seele zusammen fließen, und die Seele, die sich empor ringt aus dem niederen Menschen zum göttlichen.

Noch einen Gedanken über die Gebetsübertragung der Psalmen: die meisten Psalmen können wir als Gebetsgleichnisse ansehen. Den Schlüssel zum Verständnis eines Gleichnisses gibt uns das tertium comparationis, dieses müssen wir heraus finden. dann wird sich sofort ergeben, was im Gebet übertragen werden soll und was bloß Ausschmückung des Bildes ist. Wie im Gleichnis nicht jeder Zug des Bildes übertragen werden kann, so kann auch in den Psalmen nicht jeder Vers und Gedanke angewendet werden. Wenn man das übersieht, kommen dann solche geschraubte, unnatürliche Psalmenerklärungen zustande, von denen wir uns abgestoßen fühlen. Der Blick auf den Vergleichspunkt wird uns vor solchen Irrgängen bewahren. Dazu hat diese Methode noch den Vorteil, dass sie mit beiden Füßen auf dem Literalsinn steht. Denn nur die volle Erfassung des Urbildes wird mich das Gleichnis, das Nachbild verstehen lehren. Bisweilen ist der Vergleichspunkt nur ein großes, starkes Gefühl, das der Psalm auslösen soll; zum Beispiel Psalm 136: Super flumina Babylonis - eine großartige Elegie aus dem Exil; da ist das tertium comparationis etwa die treue, tiefe Liebe zu Jerusalem - diese können wir auf Kirche, Eucharistie, auf Jesus übertragen. Dies vorausgesetzt, wird uns der Fluch in den zwei letzten Versen nicht stören, denn er gehört bloß zur Ausschmückung des Bildes, das dieses Gefühl auslösen soll.

Endlich noch ein Rat: Seien wir nicht unwahr beim Psalmenbeten; wenn wir bitten, dann müssen wir zu bitten haben. Wenn wir um Schutz in Verfolgung flehen, in Wirklichkeit aber sicher und geborgen sind, so ist das unwahr. Wenn wir einen Psalm beten, muss er Ausdruck eines wahren Bedürfnisses sein, sei es in der Seele, sei es in der Kirche, sonst ist der Psalm für uns 'ein tönendes Erz und eine klingende Schelle'. Doch dieses Bedürfnis ist immer da, wir müssen es nur erwecken, wenn nicht in der anima, so doch ganz sicher in der ecclesia.

Doch unser ganzes Bemühen um das Psalmenbeten wird erfolglos bleiben, wenn wir nicht endlich einmal anfangen die Psalmen gründlich durch zu studieren. Eigentlich müsste das im Seminar das erste mal geschehen. Einst in alter Zeit wurde niemand geweiht, der nicht den Psalter auswendig wusste, heute sollte niemand geweiht werden, der nicht den ganzen Psalter gut versteht. Wir müssen die Psalmen noch öfters im Leben wiederholen, dann erst werden wir die Psalmen uns 'erobern'. Hat sich dann ein solches Lied tief ins Herz hinein gesenkt, dann gibt es kein Verblassen mehr, es wird uns anmuten wie ein liebgewordenes Lied.

Arbeiten wir ernstlich daran, das Aschenbrödel, unser Brevier, wieder zu Ehren zu bringen und es zu unserem Reiseengel Raphael zu machen. Ein heiliges Vätererbe, der Gebetsschatz der Kirche, liegt bereit für uns, wir müssen ihn erwerben und zum geistigen Besitz machen.


Quelle

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