20070822

Warum dieses Blog?

Ja, warum dieses Blog? In den fünfziger Jahren gab es einen kleinen Buben, der die ersten 10 Jahre seines Lebens in der Grundsteingasse im 16ten Wiener Gemeindebezirk aufwuchs. Das ist gleich um die Ecke vom Brunnenmarkt und nur etwa 200 Meter vom Gürtel entfernt. Zwischen den Häusern klafften noch Löcher bzw. freie Plätze, wo Schrotthändler ihre Waren verkauften (und auch abnahmen, Messingtürschnallen z.B.). Es gab noch Kesselflicker die von Haus zu Haus gingen und die löchrigen Emailpfannen und Töpfe wieder brauchbar machten. Es gab Bettler, die in den Hinterhöfen mit einer Zieh- oder Mundharmonika aufspielten, worauf sich dann ein paar Fenster öffneten und manfrau ein bisschen in Papier eingewickeltes Kleingeld hinunter warf. Auf den Gassen und Straßen in dieser Gegend sah manfrau oft aufgetackelte Damen die stark nach Parfüm rochen mit kleinen Hunden - meistens Pudeln - stolzieren. Männer pfiffen diesen Frauen aus irgend einem Grund nach, worauf sie meist die Nasen noch höher hielten. Vielen älteren Männern fehlten Körperteile, da war einer an der Mariahilferstraße beim Westbahnhof, der hatte keine Beine mehr, und der hatte sich einen Gegenstand gemacht, den manfrau heute Skateboard nennen würde. Da ist er mit seinen Stummeln drauf gesessen und hat sich mit den Händen durch Abstoßen zügig fort bewegen können. Das Skateboard wurde also schon in den 50ern in Österreich erfunden. Im Umkreis um die Grundsteingasse gab es eine Menge Kinos usw. usw.
Ja, und da gab es die wahren Lichtblicke! Lichtblicke waren es weil sie - wie ich erst später verstand - aus einer Düsternis - aus einem großen Kummer meiner Eltern kamen. Gut ein Jahr vor meiner Geburt verstarb meine Schwester elendiglich wegen einem Nierentumor (Nierenkrebs also). Ich war der Ersatz. Auf jeden Fall fuhren meine Eltern in meinen ersten 10 Lebensjahren ungefähr (mindestens) zwanzig Mal mit mir (per Bahn) nach Mariazell.
In der Volksschule hatte ich zwar ein Gedicht auswendig lernen müssen das folgendermassen anfing: " Ich bin ein Kind der Stadt, die Leute meinen und lachen leichthin über einen, dass so ein Stadtkind keine Heimat hat..." aber Mariazell war für mich Stadtkind ein Stück Himmel. Da waren diese wunderbaren Wanderwege mit so viel Grün, die gute Luft, eine Fahrt mit der Pferdekutsche nach Gußwerk, das erste Baden in einem richtigen See (dem Erlaufsee), die große Kirche und auch die Andächtigkeit meiner Eltern die nun schon seit 'zig Jahren tot sind. Mariazell!

Meine Eltern waren aber NICHT römisch katholisch und auch ich bin nicht römisch katholisch getauft, auch nicht evangelisch.
Ich wünsche Ihnen Glauben, Hoffnung und Liebe!

Wenn Sie in der grossen Stadt Wien leben und vor allem wenn Sie kleine Kinder haben, empfehle ich Ihnen sehr den Ort Mariazell zu besuchen. Er kann Ihnen und Ihren Kindern wunderbare und unvergessliche Erlebnisse bringen. Sie müssen dazu gar nicht mit dem Auto fahren. Es geht auch per Bahn bequem und aufregend! Ja, und wenn Sie so ein älteres Semester sind wie ich, gibt es in Mariazell gute Gelegenheit zum Meditieren, Betrachten und ... ja, was Ihnen sonst noch so einfällt.

20070820

Betrachtungen Meditationen f jeden Monat


Jänner

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April

Mai

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Juli

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Oktober

November

Dezember

Quellenhinweis

Dein Reich komme


Dein Reich komme
Dezember

Worauf warten wir eigentlich im Advent? Auf Christi erste Ankunft? Sie liegt hinter uns. Auf seine zweite Ankunft? Wir fürchten sie, wir wünschen sie nicht. Auf Weihnachten? Das Warten auf das Fest ist aus einem religiösen zu einem kommerziellen Vorgang geworden, der hernach durch einen anderen abgelöst wird. So scheint es, dass der Christ auf nichts wartet; dass die christliche Hoffnung ein leeres Wort ist und eben deshalb dem Gesetz des Vakuums folgt, sich von anderen Hoffnungen her auffüllen zu lassen. Aber haben wir wirklich nichts zu erwarten? Ist christlicher Glaube wirklich jenes absurde „Warten auf Godot", den niemals Eintreffenden, als das ihn Samuel Becketts Stück kürzlich zu demaskieren versuchte? Liegt Christi erste Ankunft wirklich „hinter uns"? Oder leben nicht ganze Erdteile, leben nicht wir selbst im Grunde noch „vor Christi Geburt"? Nächtigt er nicht noch immer im Stall, und wir, die wir in den Häusern wohnen, wissen es nicht, wollen es nicht wissen, weil wir ja auch gar keinen Platz für ihn hätten? Es gibt Menschen, die noch vor Christus leben: denen der Gott noch nie begegnet ist, der unser Leiden nicht heilt, indem er es beseitigt, sondern indem er es mit leidet, der das Unrecht der Welt dadurch überführt, dass er selbst unter die Opfer der Ungerechtigkeit tritt. Es gibt Menschen, die nach Christus leben — die ihn gesehen haben und weggegangen sind. Ist es nicht seliger, „vor" als „nach" Christus zu leben? Darf seine erste Ankunft je einfach „hinter uns" liegen? Bleibt sie nicht in einem sehr tiefen Sinn immer „voraus"? Müssen wir nicht in Wahrheit ein Leben lang auf sie zugehen, und sollte der Advent uns nicht dazu helfen, auf diesem Wege zu bleiben? So könnte uns allmählich auch sichtbar werden, dass Warten auf die erste und auf die zweite Ankunft Jesu Christi im tiefsten ein und dasselbe ist. Beides bedeutet zuletzt nichts anderes als Eintreten in die innere Dynamik der Bitte „Dein Reich komme".
Wenn die „erste Ankunft" Jesu einmal bei allen angekommen ist, dann wird eben dies die „zweite Ankunft" sein. Wenn alle in den Stall eingetreten sind, dann ist der Stall der Ort der Herrlichkeit. Am Stall scheidet sich die Welt. Das ausgestoßene Kind ist das Gericht — und das Heil.
Aber was ist mit Weihnachten, mit dem Fest, mit der Liturgie der Kirche? Dürfen wir uns freuen? Ja, wir dürfen es. Das Fest bedeutet, dass wir unser Jahr nicht nur von den Gestirnen, sondern von Menschen empfangen, die es vermenschlicht haben — von Menschen, in deren Geschichte Gott eingetreten ist. Das Fest gibt uns nicht nur Anteil am Rhythmus der Gestirne, sondern an Leid und Freude der Menschen vor uns, am Geheimnis Gottes, das sich ihrer Geschichte ein gestiftet hat. Darauf beruht sein Befreiendes, seine Kostbarkeit, seine Freude. Die Welt lebt davon, dass es in ihr die Freude gibt — dass sie nicht erstickt im Konsum, im Genuss, im düsteren Ernst der Ideologie. Die wahre Freude ist ein Geschenk der Gemeinschaft, die Gott als den Ihrigen weiß. Und müssen wir uns nicht auch darauf ganz neu vorzubereiten lernen?



Beten fuer die Toten


Beten für die Toten
November

Wer heute die Theologie über das Fegefeuer befragt, erhält kaum Antwort. Die Bibel scheint davon zu schweigen. Auf welchen Grund hin kann die Überlieferung dann davon reden? So wird das Thema umgangen. Aber andererseits — könnten wir uns eine Kirche denken, in der nicht mehr betend der Heimgegangenen gedacht würde? Man könnte sagen, die selbstverständliche   Gewissheit,   mit   der  das Gebet zu allen Zeiten auch die Verstorbenen umgriff, sei selbst ein lebendiger Ausdruck eines tieferen Wissens, das dem Glauben inne wohnt, dass nämlich das Miteinander und das Füreinander im Tode nicht endet, sondern gerade das wahrhaft Bleibende ist. Aber können wir diesem Wissen nicht doch einen konkreteren Inhalt geben? Heute scheint klar, dass das Feuer des Gerichts, von dem die Bibel redet, nicht eine Art von jenseitigem  Gefängnis meint,  sondern  den Herrn selbst, der im Augenblick des Gerichts dem Menschen begegnet. Aber was sagt das eigentlich, genau betrachtet? Das heißt doch, dass für den Menschen, der unter den Blick des Herrn gerät, alles „Stroh und Heu" seines Lebens verbrennt und dass nur übrig bleibt, was wahrhaft Bestand haben kann. Es besagt, dass der Mensch durch die Begegnung mit Christus um geschmolzen wird zu dem, was er eigentlich sein sollte und könnte. Die Grundentscheidung eines solchen Menschen ist das Ja, das ihn fähig macht, Gottes Erbarmen zu empfangen; aber diese Grundentscheidung ist vielfältig verzwängt und verklemmt, nur mühsam blickt sie aus dem Gitterwerk des Egoismus hervor, das der Mensch nicht abzustreifen vermochte. Er empfängt Erbarmen, aber er muss verwandelt werden. Die Begegnung mit dem Herrn ist diese Verwandlung, das Feuer, das ihn umbrennt zu jener schlackenlosen Gestalt, die Gefäß ewiger Freude werden kann.
Aber verliert damit nicht doch das Gebet für die Toten seinen Sinn? Kann man in die unumgängliche persönliche Umwandlung eines Menschen mit eintreten wollen? Ja, man kann es, weil für den christlichen Glauben das Innerste des Menschen doch zugleich auch sein Gemeinsames ist in der Einheit aller Glieder Christi.
Das Mitleiden und Mitlieben steht nicht neben der Person, sondern in ihr selbst: Sie ist anders, ob sorgende Liebe mit ihr geht oder nicht. Ihre Schuld ist ja auch nichts bloß Privates: Sollte „Fegefeuer" nicht, menschlich ausgedrückt, doch gerade auch daran hängen, dass nicht fraglos glücklich mit Gott vereinigt sein kann, wer Schuld hinterlassen hat, deretwegen Menschen in dieser "Welt leiden? Wo aber Schuld in vergebende Liebe verwandelt wird, fällt eine Grenze, die dem endgültigen Frieden im Weg stand. Was das Gebet der Kirche für die Toten so vor allem deutlich macht, ist dies: In der Welt des Glaubens sind die Grenzen zwischen Tod und Leben, aber auch die Grenzen zwischen Mensch und Mensch durchlässig in einem Himmel und Erde umfassenden Geben und Empfangen, für das niemand zu gering und niemand zu groß ist.



Beten mit der Kirche


Beten mit der Kirche
Oktober

Der Oktober zählt zu den stillen Zeiten des Kirchenjahres; im Laufe der letzten Jahrhunderte gewann er als Rosenkranzmonat, als Monat des geduldigen Betens, allmählich dennoch sein besonderes Gesicht. Heute freilich hat das Gebet in der Kirche seine Selbstverständlichkeit weithin verloren; wir müssen uns erst wieder neu den Weg zum hörenden und redenden Gott bahnen — oder besser: diesen Weg uns neu schenken lassen. Setzen wir mit unserem Überlegen ruhig beim Rosenkranzgebet an. Warum eigentlich grüßen wir Maria? Führt das nicht auf einen Nebenweg, wo Christus allein die Mitte ist? Darauf könnte man zunächst ganz positivistisch antworten: Wir grüßen sie, weil es einer biblischen Prophetie und damit einer Aufforderung der Heiligen Schrift entspricht: „Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter..." (Lk 1,48). Geht man dieser Antwort weiter nach, so stößt man auch auf den tieferen Grund: Gott, der Unsichtbare und Ewige, hat sich in dieser Welt durch Menschen offenbart, die ihm gleichsam seinen Namen gegeben haben: Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs... Durch Menschen hindurch ist sein Angesicht erkennbar geworden. Wir rühmen ihn selbst, wenn wir dieser Menschen dankend gedenken. Und wir verschweigen etwas von seiner Herrlichkeit, wenn wir aufhören, die zu rühmen, in denen er sich selbst gezeigt hat. In den Menschen, die Gefäße seiner Huld wurden, preisen wir ihn; sie stehen ihm nicht im Wege, sondern verweisen auf ihn.
Damit aber wird ein Weiteres sichtbar: Zum rechten Beten gehört das Mitbeten mit den Glaubenden aller Zeiten. Unsere Gebetskrise rührt nicht zuletzt auch davon her, dass wir, jeder allein, Gott erdenken und erreichen wollen. Aber das isolierte Subjekt ist wirklich verlassen und bleibt im Leeren. Das wahre Subjekt des Betens ist das umfassende Ich des Leibes Christi, des pilgernden Gottesvolkes auf dieser Welt. In ihm reichen wir in die Ewigkeit hinüber, in ihm reichen wir hinein in die Gebetserfahrung der großen Glaubenden, die uns gleichsam ihre Stimme leihen. Nur wer sein kleines Ich in dieses große Ich hinein gibt, erfährt die Öffnung von Zunge und Ohr — das Ephpheta, das zeichenhaft bei den Riten der Taufe geschieht. Diese Entschränkung des Ich, die unsere Stummheit endet, ist freilich ein schmerzlicher Prozess, der unser ganzes Leben währt: herausgehen aus sich selbst, zugehen auf das Ganze der wahren Kirche der Glaubenden. Diese tiefste Bedingung rechten Betens ist zugleich der eigentliche Erziehungsprozess, den Gott mit uns will — der Inhalt der Bewegung christlichen Lebens überhaupt.



Deinen Naechsten lieben


Deinen Nächsten lieben wie dich selbst
September

Zur 2. Lesung am 23. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Den Nächsten lieben wie dich selbst — so wie wir gewöhnlich diesen Satz hören und verstehen, erscheint dabei die Selbstliebe als das, was keine Erklärung braucht, weil es von selber da ist. Die kopernikanische Revolution, zu der hier der Mensch herausgefordert ist, besteht darin, das Ich nicht mehr als Zentrum der Welt zu betrachten, sondern es mit allen Kindern Gottes gleichrangig zu finden von der wahren Mitte, vom Schöpfer her. Das ist sicher der zentrale Gesichtspunkt, auf den das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe verweisen will. Aber man kann es von den Erfahrungen unserer Zeit her auch von einem anderen Gesichtspunkt aus angehen. Wer heute mit wachen Augen sich selbst und die anderen betrachtet, wird bald bemerken, dass die Stellung zum Ich weithin ihre selbstverständliche Unkompliziertheit eingebüßt hat. Über einen Menschen, der allezeit missmutig und unleidig ist, sagt der Volksmund: Er mag sich selber nicht. Und wirklich ist die Uneinigkeit mit sich selbst häufig der tiefste Grund der Uneinigkeit mit dem Du. Egoismus ist etwas ganz anderes als Annahme seiner selbst, als wahre Selbstliebe, die zugleich Offenheit zur Nächstenliebe werden kann. Die letzte Notiz, die Bernanos seinen Landpfarrer im Tagebuch eintragen lässt, sagt: „Es ist leichter als man glaubt, sich zu hassen. Die Gnade besteht darin, dass man sich vergisst. Wenn aber aller Stolz in uns gestorben wäre, dann wäre die Gnade der Gnaden, sich selbst demütig zu lieben als irgendeinen, wenn auch noch so unwesentlichen Teil der leidenden Glieder Christi." In der Tat, wie leicht ist es, mit sich selbst zu zerfallen: Warum ist dieses Ich so gebaut, dass es mich zum Triebverzicht, zum ständigen Ausgleich mit dem Du und mit dem Es zwingt? Warum ist mir diese und jene Begabung versagt, die den anderen reich und frei und glücklich macht? Warum muss ich mich mit diesem störrischen und ungefügen Ich herumschlagen? Warum ist es in eine Welt geworfen, mit der es nicht konform werden kann? Der tiefste Kern seelischer Erkrankung, so sagt uns die Erfahrung vieler Psychiater, ist das Scheitern der Annahme seiner selbst, der Konflikt mit dieser mir vorgegebenen Kreatur meines Ichs. Und diese Uneinheit sperrt den Weg zum Du. Oder ist es vielleicht umgekehrt — nur wer sein Dasein vom anderen bestätigt und angenommen findet, kann sich auch selbst annehmen?
Beides greift wohl ganz eng ineinander: Erst das Angenommensein vom Du ermöglicht das Ja zum Ich; erst das Eins sein mit dem Ich öffnet den Weg zum Du. Selbst- und Nächstenliebe sind unlösbar ineinander verschränkt.
So könnte uns das Gebot, den Nächsten zu lieben „wie dich selbst" heute zu einer Lektion über die rechte Annahme seiner selbst werden, ohne die wir auch den Nächsten nicht wahrhaft zu bejahen vermögen. Letztlich vollzieht sich in der Selbstannahme Annahme des Schöpfers: Dieses Ich mit all seinen Grenzen und Mühsalen ist ein Stück Schöpfung. Auch über ihm steht das „Gut" des letzten Schöpfungstages. Und eben deshalb ist es nicht nur pragmatisch zu ertragen, sondern der Wahrheit gemäß annehmbar. Das „Gut" ist wahr. Jede andere Gutheißung bliebe im letzten zu wenig. Der Glaube an den Schöpfer ist die innerste Ermöglichung für jede Art von Liebe. Vom Schöpfer her kommt jenes Ja, das Ich und Du vereint.



Leib u Himmlische Herrlichkeit


Der Leib und die himmlische Herrlichkeit
August

Das Dogma von der leiblichen Aufnahme Marias in die himmlische Herrlichkeit geht uns heute eher im Weg um. Fast alle seine Aussagen klingen wie Fremdwörter ohne greifbaren Sinn: Maria — der Himmel — die Herrlichkeit. Nur ein Wort verstehen wir hier: der Leib. Aber vielleicht öffnet sich von diesem einzigen Wort her, das auch für uns eine unmittelbar verständliche Bedeutung hat, der Zugang zum Ganzen. Was hier gesagt wird, ist ein Bekenntnis zum Leib und damit ein Bekenntnis zur Erde, ein Bekenntnis zur Materie und ein Bekenntnis zur Zukunft von alledem. Die scheinbar leibfeindliche Kirche hat mit diesem Dogma einen Hymnus auf den Leib angestimmt und ihn in Zusammenhang mit dem Göttlichen gebracht. Denn die Beziehung zwischen Leib und Himmel, die hier hergestellt wird, besagt nichts anderes als eine nachdrückliche Bejahung des Leibes: Leib ist nicht nur Körper, sondern er hat mit dem „Himmel", d. h. mit Gott zu tun. Vielleicht geht uns das deshalb so wenig ein, weil in dieser Formel eine Zwischenstufe übersprungen oder als selbstverständlich vorausgesetzt wird, auf die es in höchstem Maß ankommt: Leib hat mit dem Himmel zu tun, weil er mit dem Menschlichen des Menschen zu tun hat. Weil er unmittelbar ins Menschliche selbst hineingehört und an seiner Würde Teil hat. Das aber ist eine Aussage von größter Aktualität: Die Entdeckung des Leibes droht heute weithin in seine Enthumanisierung um zuschlagen. Um ihn richtig, ungehemmt, in Besitz nehmen zu können, wird er aus der Sphäre sittlicher Verantwortung ausgeschieden, zur reinen Sache gemacht, die man abseits der eigentlich menschlichen Verpflichtungen und Beziehungen benützen kann. Leib wird in Körper umgesetzt; ein neuer Dualismus zieht herauf, dessen zerstörerische Wirkungen wir schon weithin erleben. Nur wo das Menschsein in seiner unverkürzten Ganzheit bestanden wird, öffnet sich ihm Zukunft. Nur wo der Leib in seiner humanen Würde angenommen ist, bleibt auch der Geist human; nur wo das Humane von Gottes Verheißung her gesehen wird, bleibt der Leib in seiner Ehre. Deswegen ist die wirkliche Einwurzelung von Gottes Tun bis in die Leibhaftigkeit hinein ohne spiritualistische Besserwisserei so wichtig: von der Geburt aus der Jungfrau begonnen bis zur Auferstehung des Herrn und bis dahin, dass das Ja Gottes durch den Sohn hindurch im Ja der zuerst Glaubenden wieder den Leib zu erreichen vermochte. Und so schließen sich nun alle Wörter des Dogmas zusammen: zuerst „Himmel" und Leib, nun aber auch Maria und Herrlichkeit und Leib und Himmel. Maria — dieser Name macht das Ganze konkret — konkret in einer äußerlich sehr einfachen Frau, die sich selbst als gewöhnliche Dienstmagd bezeichnet (Lk1,48). Dass Herrlichkeit gerade hier ansetzt, sollten wir nicht vergessen. Nicht eine Königin ist verherrlicht, sondern die einfache Magd. Nicht der Macht ist Zukunft verheißen, sondern dem Glauben. Dem Gott zu glauben, der die Niedrigen erhöht und die Mächtigen vom Throne stößt, der Fleisch wurde und Fleisch erweckte — das ist die irdische Forderung und die himmlische Verheißung, das Zugleich von Gerechtigkeit und Gnade, auf das uns das Fest vom 15. August stoßen will.



Hoffnung des Senfkorns


Die Hoffnung des Senfkornes
Juli

Das Himmelreich ist wie ein Senfkorn
(Mt 13,31).

Auf der Scheitelhöhe des Sommers legt uns die Kirche in diesem Jahr die Wachstumsgleichnisse vor, die ehedem den Sonntagen nach Epiphanie zugewiesen waren und so in das beginnende Frühjahr oder in den sinkenden Herbst fielen. Ihr historischer Sinn ist uns heute klarer als früheren Generationen (so meinen wir jedenfalls), aber ihre gegenwärtige Aussage entzieht sich uns nur um so mehr. Was das Senfkorngleichnis angeht, so sagen uns die Exegeten, es sei ursprünglich ein Kontrastgleichnis gewesen, das der Beunruhigung der Jünger über die armselige Gestalt des in der Verkündigung Jesu beginnenden Gottesreiches antworten wollte: Sie sollten dem Senfkorn trauen, dem Geheimnis der Hoffnung, das gerade über diesem irdisch so armseligen Beginn steht. In der Evangelienüberlieferung glaubt man schon einen anderen Ton mit zuhören: Die Jünger hatten die Auferstehung des gestorbenen Weizenkorns erleben dürfen und vor ihren Augen begann in der Bewegung der christlichen Mission aus dem armseligen Korn ein Baum hervor zuwachsen, der schon seine Zweige über die ganze Erde hin breitete. So schwingt inzwischen beinahe ein triumphales Moment mit, eine Freude, die aus der Gewissheit des Erfahrenen kommt. Wir stehen heute viel eher wieder auf der Seite der Fragenden und der Beunruhigten; die Antwort Jesu will uns nicht recht in den Sinn. Zwar — der Baum, der aus dem Senfkorn gewachsen ist, steht noch da, aber er scheint uns herbstlich müde und entlaubt. Langsam, aber sicher scheint er zu verdorren; die Vögel des Himmels verschwinden oder vielmehr: Allerlei seltsame Vögel nisten gespenstisch in ihm und lassen ihn eher unheimlich erscheinen. Die Furcht steigt auf, auch dieser Baum möchte keine andere Verheißung haben als so viele andere Bäume, die in der Geschichte gewachsen und wieder verdorrt sind. Auch er möchte nicht für die Ewigkeit gepflanzt sein, sondern seine Zeit haben, die Zeit, in der er jugendlich aufstieg und wuchs und nun die herbstliche Stunde des Verdorrens und Abschied nehmens. Der Baum steht da, aber er scheint ohne Verheißung. Hoffnungslos. -Löst sich also das Gleichnis von der anderen Seite her wieder auf? Oder müssen wir, um es zu verstehen, an seinen Anfang zurückkehren? Der Akzent bei Jesus liegt ja nicht auf dem Baum, sondern auf dem Senfkorn, das Hoffnung ist in all seiner Unansehnlichkeit. In Wahrheit bleibt Kirche immer Senfkorn: Für sie ist immer Karfreitag, Ostern und Pfingsten zugleich (H. U. v. Balthasar). Sie ist nicht wie eine Pflanze, in der der Same nur am Anfang steht. Kreuz ist für sie kein ferner Beginn, sondern stets Gegenwart. Sie erfährt immer wieder Karfreitag, wie sie immer wieder auch Ostern erfahren darf. Die Kirche bleibt Senfkorn ihre ganze Geschichte hindurch. Sie lebt immer von der ungreifbaren Kraft des Heiligen Geistes und nie von der inzwischen erreichten Macht ihrer Organisation. Vielleicht ist es der Segen dieser Stunde, dass wir genötigt werden, dies neu zu erkennen. Wir könnten ja meinen, nun sei die Kirche so mächtig geworden, dass sie schon, rein menschlich betrachtet, kaum noch aus dem Felde zu schlagen sei. Wie schnell solche Einbildung zerrinnen kann, wissen wir jetzt. Vielleicht mussten wir, musste die Kirche in „starke Bedrängnis" (l Thess 1,6) hineingeführt werden, um neu zu wissen, wovon sie lebt — auch heute von der Hoffnung des Senfkorns, nicht von der Kraft ihrer Pläne und ihrer Strukturen.



Zeichen des Herzens


Das Zeichen des Herzens
Juni

Kann uns Herz-Jesu-Verehrung noch etwas sagen? Oder besser: Können wir in ihr uns noch aussagen vor dem Herrn und auf ihn hin? Der barocke Überschwang, die Leichtigkeit, mit der sie die großen Grundworte menschlichen Lebens in den Mund nimmt, sind uns verdächtig geworden. Wer näher zusieht, kann hinter ihrer ekstatischen Gebärde eine ursprüngliche Entdeckung finden, die sich dann nach der Weise ihrer Zeit Ausdruck schuf. Was hier neu gefunden wurde, war freilich in Wahrheit das Uralte und das Eigentliche: das Menschsein Gottes in Jesus Christus. Und was hier neu gefunden wurde, war die Leibhaftigkeit des Menschen Jesus. Für all dies steht das Wort „Herz", das ganz bewusst nicht nur Symbol, sondern Verankerung des Geistes in der Realität des Leibes sein wollte und will. Die Materie hat eine neue Dimension gefunden, als sie Ausdruck des Geistes und als sie schließlich Ausdruck Gottes selber wurde. Aber auch Gottes eigene Liebe hat eine neue Dimension gefunden, als sie die Kostbarkeit und die Passion des Menschseins, der Materie übernahm. Man kann sie nun förmlich anrühren, wie Johannes kühn sagt (l Joh l, l);man kann sie sehen. Gott nimmt die Grenze der Materie, eines ganz bestimmten Körpers an, um gerade so, durch diese Begrenzung, eine neue Möglichkeit der Mitteilung, der Nähe zu finden. Materie, die trennt, wird zum Mittel der Berührung. Zum Medium der Hingabe. Etwas von der Möglichkeit der Verwandlung, die ihr innewohnt, leuchtet auf. Und etwas vom Geheimnis des Menschen, in dem Materie und Geist sich vermählen, um je ihr Eigenes erst voll zu finden und so die Einheit der Schöpfung zu stiften, deutet sich an. Herz-Jesu-Verehrung war in ihren großen Zeiten so etwas wie eine Jesus-Bewegung mitten in der Kirche. Über dem Trümmerfeld des Dreißigjährigen Krieges, inmitten des politischen Christentums der barocken Höfe hat sie die Einfachheit Jesu entdeckt und die Kirche neu an seine Einfachheit gebunden. Sie hat ihn, gerade in der Zeit kirchlicher Macht, als den Leidenden und als den Einsamen erkannt. Sie hat die Menschen in die Zwiesprache mit seiner Einsamkeit und in die Teilnahme an seinem Leiden geführt. Ihr „Protest" war das Leiden, oder richtiger: Sie hat die Schuld ihrer Zeit zu bestehen versucht, indem sie Schuld in Leid verwandelte. Sie hat das freiwillige Leiden als Stätte der heilenden Verwandlung des Menschen gefunden. Und ebenso ist sie auch über den drückenden Moralismus der Kasuistik, über den ausweglosen Streit von Rigoristen und Laxisten ganz von selbst hinausgewachsen: Sie hat das „leichte Joch" Jesu gerade in der Annahme seiner Passion entdeckt — ein Herz haben wie er, das wäre das ganze Geheimnis, Während die „Weisen und Klugen" stritten, vermochten die „Einfältigen" zu sehen (vgl, Mt 11,25): Das Herz zeigt den Weg. Sollte all dies uns nichts mehr zu sagen haben?



Gabe des Geistes


Die Gabe des Geistes als Frucht des Kreuzes
Mai

Mitten in den Abschiedsreden Jesu, mitten unter den Worten, die den immer währenden Beistand des Parakleten verheißen, stellt der Apostel Judas Thaddaus die Frage an den Herrn, die sich dem suchenden Menschen immer wieder aufdrängt: Warum offenbarst Du Dich uns und nicht der Welt (Joh 14,22)! Warum zeigst Du Dich nicht machtvoll und unwiderleglich vor dem Angesicht derer, die Dich nicht kennen? Die Antwort Jesu erschließt sich nicht leicht, weil sie über die Ebene des bloßen Sagens, Redens und Denkens hinaus weist: Wer mich liebt — wer mein Wort hält, den liebt mein Vater —, zu ihm werden wir kommen (Vers 23). Das will sagen: Die Erkenntnis Gottes ist nicht wie die Erkenntnis irgendeines Dinges. Sie ist ein Weg. Und nur wer ihn geht, kann sehen. Wer sich dem Weg weigert, wer nur seine neugierigen Augen bereitstellt, aber sein Sein, sich selbst heraus halten will, der findet nicht, Jesus verbindet das Kommen und das Sehen ganz eng miteinander. Augustinus hat das so ausgedrückt: Nur wer den Heiligen Geist hat, kann ihn auch sehen. Und haben kann man ihn nur, indem man einstimmt in das, was er ist: in die Liebe. Im Mitlieben.
Die kirchliche Liturgie hat diesen Gedanken schon sehr früh mit Psalm 68 (67) 19 kommentiert, mit einem Text, den schon Eph 4,8 zugleich zu einem Himmelfahrts- und Pfingsthymnus wie auch zu einer Hymne auf das Kreuz aus seiner schwer deutbaren alt-testamentlichen Urform um stilisiert hat: „Er stieg auf zur Höhe... Er brachte Gaben den Menschen." Der siegreich aufgestiegene Herr verteilt als Sieger Gaben: die Gaben des Heiligen Geistes. Geist ist Frucht von Christi triumphalem Aufstieg, seiner „Himmelfahrt". Wenn man tiefer zuhört, heißt dies zugleich: Der Geist ist die Frucht des Kreuzes. Der Abstieg in den Abgrund der letzten menschlichen Not, der Abstieg einer Liebe, die sich bis ins letzte ausnützen ließ, war von innen her zugleich der triumphale Aufstieg bis zum Herzen Gottes hin und aus diesem Abstieg-Aufstieg ist die Quelle des Geistes hervor gekommen: In ihm ist Gott selbst als Heiliger Geist Geschenk geworden für die Menschen.
Der Geist ist die Frucht des Kreuzes: Das bleibt so. Er kommt aus dem Kreuz Christi und man kann ihn nicht anders haben und sehen als im Eingehen in diesen Weg: Dort „wohnt" er, dort „kommt" er.



Wettlauf zum Auferstandenen


Der Wettlauf zum Auferstandenen
April

Den ersten Höhepunkt des Johanneischen Berichts von der Osternacht (Joh 20,1-18) bildet die rätselvolle Geschichte vom Wettlauf der beiden Jünger zum Grabe Jesu. Was besagt sie eigentlich? Vielleicht müssen wir uns durch unser Wissen um die literarische Eigenart des vierten Evangeliums nicht unbedingt daran hindern lassen, darin auch einen Ausdruck realer Erinnerung an die erregte Stimmung jenes Morgens zu sehen: das Grab sei leer, aber nicht geplündert — so hatte Maria gemeldet. Was sollte das heißen? Sollte man dem glauben? Hoffnung und Resignation, Glauben wollen und Realismus aus Erfahrung heraus widerstreiten einander, Neugier treibt zur Eile und in alledem bleibt es Nacht... Aber sicher geht es dem Evangelisten um mehr als um das Anekdotische; er schreibt nicht für ein literarisches Publikum, sondern für die Kirche. Was er genau sagen wollte, wird umstritten bleiben, aber eben darum haben wir auch das Recht, den Text im Glauben der Kirche immer neu zu bedenken und an zueignen. Petrus und der Jünger, den Jesus liebte, repräsentieren Realitäten, die in der Kirche weitergehen: den Auftrag des Amtes und die unbeamtete Liebe. Nicht umsonst bleibt der zweite Jünger das ganze Evangelium hindurch anonym; ungenannt verkörpert er die namenlose Schar derer, die Jesus kennen wie ihn die Liebe kennt, und so die bleibende Kraft der Kirche sind. Beide sind auf dem Wettlauf zum Grab des Herrn. Der Ungenannte lässt Petrus den Vortritt, er macht ihm seinen Rang nicht streitig, sein „Primat" ist anderer Art. Und beide gewinnen so je auf ihre Art den Wettlauf. Vielleicht geht uns heute angesichts der Rivalität, die zwischen Amt und Geist so gern beschworen wird, dieser Text auf eine ganz besondere Weise an: Es gibt verschiedene Aufträge in der Kirche. Es gibt einen Primat des Amtes und es gibt einen Primat der anonymen, unbeamteten Liebe. Die einzig rechtmäßige Rivalität in der Kirche aber ist der Wettlauf zum Herrn. Der Wettlauf um mehr Nähe. Um mehr Nachfolge. Um mehr Glaube. Um mehr Leben aus dem Glauben. Kehren wir nochmals zurück. Es ist Nacht. Auch heute. Und auch zu uns kommt Maria, kommt die Kirche, um uns unruhig zu machen durch die Botschaft von dem, was sie gesehen hat. Spinnen wir nicht sogleich unsere Theorien darüber, was sein kann und was nicht sein darf. Werden wir unruhig. Machen wir uns auf den Weg. Zeugin der Auferstehung freilich wurde Maria erst, als der Herr sie anrief. Sie beim Namen nannte. Wer nur wissen will, kann allenfalls einen Gärtner (oder sonst eine Hypothese) finden. Aber wer hört, wird erkennen, dass er mit Namen gerufen wird, und er darf der freudigen Gewissheit der Auferstehung auch dann voll sein, wenn ihm nicht gestattet ist, ihn zu berühren, sondern statt dessen nur der Auftrag ergeht, auch den Brüdern zu sagen: Ja, er ist wahrhaft auferstanden.



Heil aus der Wehrlosigkeit Gottes


Heil aus der Wehrlosigkeit Gottes
März

Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt.    (Joh 1,29)

Die irdische Geschichte Jesu beginnt im vierten Evangelium mit dem Wort des Täufers: Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt. Sie endet mit dem Hinweis darauf, dass kein Bein an ihm zerbrochen wurde und nimmt damit eine Bestimmung aus dem Pasdia-Ritual auf: Das Osterlamm muss fehlerfrei sein; kein Knochen darf an ihm zerbrochen werden (Ex 12,46). Damit unterstreicht Johannes, was er zuvor schon durch seine Datierung des Kreuzesgeschehens angedeutet hatte: Jesus stirbt am Kreuz zu der Stunde, da im Tempel die Paschalämmer geschlachtet werden. Der wahre Tempel ist draußen, vor der Stadt, dort, wo das wirkliche Lamm seine Seite durch die römischen Soldaten öffnen lässt. Das Bild von Jesus, dem Lamm, das der Welt Sünde trägt, rahmt so die ganze irdische Geschichte Jesu. In der Liturgie der Messe steht das Täuferwort, das diese Geschichte eröffnet, an der Schwelle zum Kommunionempfang; es stellt den Zusammenhang her zwischen der historischen Passion Jesu und unserer Liturgie und es will zugleich noch einmal einen Augenblick der Nachdenklichkeit schaffen, ehe wir das Lamm in unsere Hände und in unseren Leib aufzunehmen wagen.
Die Spanne der Fastenzeit, die ihrerseits wie ein ausgestreckter Finger auf das Lamm hin ist, sollte wohl Grund sein, etwas länger besinnlich vor diesem Bild inne zuhalten. „Schaf", „Herde" war in der Sprache des alten Orient ein Bild für das Volk, für die Untertanen, die wie Schafe Eigentum des Hirten, des absoluten Gott-Königs waren, der sie nach seinem Belieben gebrauchen durfte. Was aber soll es bedeuten, wenn der, der eigentlich und allein wahrhaft Hirte ist (Joh 10,11), in diese Welt nicht als Hirte, sondern als Schaf, ja, als das letzte Lamm eintritt? Gott kommt zunächst nicht richtend, verbrennend, wie er es könnte, sondern mittragend, mit liebend, mitleidend. Und gerade so will er uns retten: indem er sich auf unsere Seite stellt. In der Kommunion geschieht dies noch immer: Er legt sich wehrlos und wortlos in unsere Hand — wahrhaft „Lamm" Gottes. Und wohin gerät er da? Wie viel Unrat klebt an diesen Händen, an diesen Leibern, an diesen Seelen, in die hinein er sich ausliefert. Und unsere Antwort? Seine Wehrlosigkeit soll uns vertrauen machen: Wir dürfen unsere Schwachheit ihm übergeben. Aber sie ruft auch in Verantwortung: Die Wehrlosigkeit Gottes sollte uns mehr in den Händen und auf der Seele brennen als seine Macht. Sie sollte uns Verpflichtung sein. Und sie sollte uns dazu führen, in allen Wehrlosen, Leidenden und Bedrängten dieser Welt ihn zu erkennen: Wem das Lamm sich ausliefert, der darf nicht selbst ein Wolf sein. Der sollte versuchen, mit ihm angstlos Lamm zu werden und mit seiner Niedrigkeit (nicht anders) auch seine Herrlichkeit zu empfangen.

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Zeit des Lachens


Zeit des Lachens und der Buße
Februar

Der Monat Februar zerfällt in diesem Jahr in zwei ziemlich gleich große Teile: Mitte des Monats beginnt mit dem Aschermittwoch die Fastenzeit, die Tage zuvor sind durch den Karneval geprägt. Beide Zeiten stellen ihre eigenen Fragen an uns. Müssen wir heute, da soviel vom Katechumenat gesprochen wird, nicht wieder viel ernsthafter erkennen, dass Fastenzeit ein universales Katechumenat sein will, in dem wir unsere Taufe konkret einholen in unser Leben oder vielmehr unser Leben einholen lassen in den Anspruch der Taufe? Muss es uns nicht sehr nachdenklich machen, dass Jesus Christus sich auf der Spur der Propheten in der Wüste und im Fasten auf seinen Dienst als Verkündiger des Wortes vorbereitete? Heißt das nicht, dass etwas von „Wüste", von Sammlung in der Einsamkeit und von körperlichem Verzicht notwendig ist, wenn ein Mensch Gott begegnen soll? Und sollte nicht uns Menschen einer übersatten und an ihrer Sattheit kranken Zivilisation das Wort vom Fasten auch ganz konkret wieder anfordern?
Der Anruf der Fastenzeit ist nicht leicht, aber er ist im Grunde doch deutlich für den, der dem Glauben und Beten der Kirche offen steht. Demgegenüber erscheint es eher problematisch, den Karneval in einer theologischen Meditation zu erwähnen, denn eine Zeit des Kirchenjahres ist er höchstens sehr indirekt. Aber sind wir da nicht ein wenig schizophren? Einerseits sagen wir ganz gern, dass Karneval sein Heimatrecht gerade in katholischen Ländern hat, andererseits umgehen wir ihn geistlich und theologisch dann doch. Gehört er also zu den Dingen, die man christlich nicht aneignen, aber menschlich auch nicht verhindern kann? Dann aber wäre zu fragen: Wie menschlich ist eigentlich das Christentum?
Nun, der Ausgangspunkt des Karnevals ist zweifellos heidnisch: Fruchtbarkeitskulte, Geisterbeschwörungen fließen zusammen. Dagegen musste die Kirche einstehen, den Exorzismus sprechen, der die Dämonen bannt, die den Menschen vergewaltigen und nicht froh machen. Aber nach dem Exorzismus trat ganz unerwartet etwas Neues, eine entdämonisierte Heiterkeit hervor: Karneval ordnete sich nun dem Aschermittwoch zu, als Zeit des Lachens vor der Zeit der Buße, als Zeit einer heiteren Selbstironie, die im Lachen Wahrheit sagt, welche derjenigen des Bußpredigers ganz nahe verwandt sein kann. So kann der Karneval, entdämonisiert, in die Richtung des alttestamentlichen Predigers weisen: „Es gibt eine Zeit zu weinen und eine Zeit zu lachen ..." (Ekkl 3,4). Auch für den Christen ist nicht immer gleicherweise Bußzeit. Er hat auch Zeit zu lachen. Ja, gerade der christliche Exorzismus hat erst die dämonischen Masken zersprengt und dahinter ein befreites Lachen hervor kommen lassen. Wir wissen alle, wie weit der heutige Karneval nicht selten davon entfernt ist. Wie sehr er zu einem Geschäft mit der Versuchlichkeit des Menschen geworden ist. Wie sehr Mammon mit seinen Verbündeten regiert. Deshalb kämpfen wir Christen nicht gegen, sondern für das Lachen. Der Kampf gegen die Dämonen und das Lachen mit den Lachenden gehören zusammen: Der Christ braucht nicht schizophren zu sein, weil der christliche Glaube wahrhaft menschlich ist.
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Vertrauen als Weggeleit


Vertrauen als Weggeleit ins neue Jahr
Januar

Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater (Gal 4,6).

An die Schwelle des neuen Jahres setzt die Kirche das Wort des Galaterbriefes: Ihr seid Söhne, in denen der Geist Abba ruft. Sie legt uns diese Stelle vor als ein Wort des Vertrauens, das uns helfen soll, getrost in eine Zukunft hineinzugehen, um deren Wege wir nicht wissen können. Auch der folgende Satz will Geleit ins Kommende geben: Als Söhne sind wir frei und als Söhne sind wir Erben. Damit soll der letzte Inhalt unserer Zukunft aufgedeckt werden: Wir werden Herren des Alls sein als Erben Gottes. Mehr kann man eigentlich dem Menschen nicht voraussagen. Dennoch wird es uns schwer, uns die Hoffnung dieses Textes zu eigen zu machen. Uns fehlt die Naivität, die uns Abba stammeln ließe. Ja, es gibt einen Widerstand gegen das Vater-Sagen in uns, der unserem Verlangen nach Mündigkeit entspringt. Der Vater erscheint uns nicht mehr, wie Paulus, als Garant der Freiheit, sondern als ihr Widerspruch. Nur der Partner gilt, der Vater erinnert an „Herr-Schaft". Wir bewegen uns in der Marschrichtung des jüngeren Sohnes, der sich sein Erbe auszahlen lässt und keinen Vater mehr kennen will, sondern nur die Zukunft, die er sich selber schafft. So kann ein einziger kleiner Text, der Neujahrsgruß, den uns die Kirche mitgibt, die ganze Mühsal des Christ Seins heute aufdecken. Es steht quer zu vielem, was uns selbstverständlich scheint, es verlangt Umkehr. Dennoch — wenn wir den Mut zum Innehalten haben, ist es vielleicht gar nicht so schwer zu verstehen. Wer nur sich selbst erschaffen muss, kann im Grunde nur seine Ohnmacht entdecken. Er kann nur zu einem Roboter in einem übermächtigen All und in einer übermächtig ihn verplanenden Gesellschaft werden. Wer zum Herrn des Ganzen „Vater" sagen darf, hat wirklich Grund zum Vertrauen. Ihm gehört die Zukunft. Warum sollte es uns nicht möglich sein, die ansteckende Kraft dieses Vertrauens auch in unserer Zeit zu leben?

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Quellenhinweis A

Quellenhinweis zu den Monatslesungen:

Die Hoffnung des Senfkorns
Joseph Ratzinger, Freising, 1973

Betrachtungen für jeden Monat des Jahres.

In einer Vorbemerkung sagt Joseph Ratzinger (1973):

"Die vorliegenden Betrachtungen für jeden Monat des Jahres erschienen zuerst 1972 in den 12 Heften des Pastoralblattes für die Diözesen Aachen - Berlin - Essen - Köln - Osnabrück. Sie sind deshalb unmittelbar an den Daten des Kalenderjahres 1972 und des liturgischen Lesejahres A orientiert, können jedoch leicht davon abgelöst und auf die gleichmäßig wiederkehrenden Charakteristika des Kirchenjahres bezogen werden."

Diese 12 Betrachtungen - für jeden Monat eine - haben als Thema die gleichmäßig wiederkehrenden Charakteristika des Kirchenjahres.

Der bekannte Regensburger Dogmatiker (1973) bietet in diesem Buch Meditationen, die in das zentrale Anliegen des jeweiligen Themas führen. Hier verbindet sich Theologie mit Frömmigkeit.

Anmerkung zu der in diesem Blog vorliegenden Fassung:
Es wurden hier lediglich Rechtschreibkorrekturen vorgenommen also z.B. 'dass' statt 'daß' oder 'lässt' statt 'läßt'.

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