20070831

Christ als Hans im Glueck ?

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Die Frage, was eigentlich Inhalt und Sinn christlichen Glaubens sei, ist heute von einem Nebel der Ungewissheit umgeben wie kaum irgendwann zuvor in der Geschichte. Wer die theologische Bewegung des letzten Jahrzehnts beobachtet hat und nicht zu jenen Gedankenlosen gehört, die das Neue unbesehen jederzeit auch schon für das Bessere halten, könnte sich wohl dabei an die alte Geschichte vom 'Hans im Glück' erinnert fühlen: Den Goldklumpen, der ihm zu mühsam und schwer war, vertauschte er der Reihe nach, um es bequemer zu haben, für ein Pferd, für eine Kuh, für eine Gans, für einen Schleifstein, den er endlich ins Wasser warf, ohne noch viel zu verlieren - im Gegenteil: Was er nun eintauschte, war die köstliche Gabe völliger Freiheit, wie er meinte. Wie lang seine Trunkenheit währte, wie finster der Augenblick des Erwachens aus der Geschichte seiner vermeinten Befreiung war, das auszudenken überlässt jene Geschichte, wie man weiß, der Phantasie ihrer Leser. Dem besorgten Christen von heute aber drängen sich nicht selten Fragen wie diese auf: Hat unsere Theologie in den letzten Jahren sich nicht vielfach auf einen ähnlichen Weg begeben? Hat sie nicht den Anspruch des Glaubens, den man allzu drückend empfand, stufenweise herunter interpretiert, immer nur so wenig, dass nichts 'Wichtiges' verloren schien, und doch immer so viel, dass man bald darauf den nächsten Schritt wagen konnte? Und wird der arme Hans, der Christ, der vertrauensvoll sich von Tausch zu Tausch, von Interpretation zu Interpretation führen ließ, nicht wirklich bald statt des Goldes, mit dem er begann, nur noch einen Schleifstein in Händen halten, den wegzuwerfen man ihm getrost zuraten darf? Gewiss, solche Fragen sind ungerecht, wenn sie allzu global gestellt werden. Denn man kann nun einmal rechtmäßiger weise nicht behaupten, 'die moderne Theologie' überhaupt sei einen solchen Weg gegangen. Ebenso wenig aber wird man leugnen dürfen, dass eine weit verbreitete Stimmung einen Trend unterstützt, der in der Tat vom Gold zum Schleifstein führt. Ihm kann man freilich nicht entgegenwirken durch ein bloßes Beharren auf dem Edelmetall fester Formeln der Vergangenheit, das dann doch auch nur ein Metallklumpen bleibt: eine Last, statt kraft seines Wertes die Möglichkeit wahrer Freiheit zu gewähren. An dieser Stelle setzt die Absicht des vorliegenden Buches (Anmerkung: 'Einführung in das Christentum') an: Es will helfen, den Glauben als Ermöglichung wahren Menschseins in unserer heutigen Welt neu zu verstehen, ihn auslegen, ohne ihn umzumünzen in ein Gerede, das nur mühsam eine völlige geistige Leere verdeckt.

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Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Vorwort von Joseph Ratzingers Buch 'Einführung in das Christentum', 1968 erschienen, hervorgegangen aus Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten denen auch das Buch gewidmet ist.

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Literatur und Quellenhinweis:

Joseph Ratzinger
Einführung in das Christentum

Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis
München, 1968

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