Die Hoffnung des Senfkornes
Juli
Juli
Das Himmelreich ist wie ein Senfkorn
(Mt 13,31).
Auf der Scheitelhöhe des Sommers legt uns die Kirche in diesem Jahr die Wachstumsgleichnisse vor, die ehedem den Sonntagen nach Epiphanie zugewiesen waren und so in das beginnende Frühjahr oder in den sinkenden Herbst fielen. Ihr historischer Sinn ist uns heute klarer als früheren Generationen (so meinen wir jedenfalls), aber ihre gegenwärtige Aussage entzieht sich uns nur um so mehr. Was das Senfkorngleichnis angeht, so sagen uns die Exegeten, es sei ursprünglich ein Kontrastgleichnis gewesen, das der Beunruhigung der Jünger über die armselige Gestalt des in der Verkündigung Jesu beginnenden Gottesreiches antworten wollte: Sie sollten dem Senfkorn trauen, dem Geheimnis der Hoffnung, das gerade über diesem irdisch so armseligen Beginn steht. In der Evangelienüberlieferung glaubt man schon einen anderen Ton mit zuhören: Die Jünger hatten die Auferstehung des gestorbenen Weizenkorns erleben dürfen und vor ihren Augen begann in der Bewegung der christlichen Mission aus dem armseligen Korn ein Baum hervor zuwachsen, der schon seine Zweige über die ganze Erde hin breitete. So schwingt inzwischen beinahe ein triumphales Moment mit, eine Freude, die aus der Gewissheit des Erfahrenen kommt. Wir stehen heute viel eher wieder auf der Seite der Fragenden und der Beunruhigten; die Antwort Jesu will uns nicht recht in den Sinn. Zwar — der Baum, der aus dem Senfkorn gewachsen ist, steht noch da, aber er scheint uns herbstlich müde und entlaubt. Langsam, aber sicher scheint er zu verdorren; die Vögel des Himmels verschwinden oder vielmehr: Allerlei seltsame Vögel nisten gespenstisch in ihm und lassen ihn eher unheimlich erscheinen. Die Furcht steigt auf, auch dieser Baum möchte keine andere Verheißung haben als so viele andere Bäume, die in der Geschichte gewachsen und wieder verdorrt sind. Auch er möchte nicht für die Ewigkeit gepflanzt sein, sondern seine Zeit haben, die Zeit, in der er jugendlich aufstieg und wuchs und nun die herbstliche Stunde des Verdorrens und Abschied nehmens. Der Baum steht da, aber er scheint ohne Verheißung. Hoffnungslos. -Löst sich also das Gleichnis von der anderen Seite her wieder auf? Oder müssen wir, um es zu verstehen, an seinen Anfang zurückkehren? Der Akzent bei Jesus liegt ja nicht auf dem Baum, sondern auf dem Senfkorn, das Hoffnung ist in all seiner Unansehnlichkeit. In Wahrheit bleibt Kirche immer Senfkorn: Für sie ist immer Karfreitag, Ostern und Pfingsten zugleich (H. U. v. Balthasar). Sie ist nicht wie eine Pflanze, in der der Same nur am Anfang steht. Kreuz ist für sie kein ferner Beginn, sondern stets Gegenwart. Sie erfährt immer wieder Karfreitag, wie sie immer wieder auch Ostern erfahren darf. Die Kirche bleibt Senfkorn ihre ganze Geschichte hindurch. Sie lebt immer von der ungreifbaren Kraft des Heiligen Geistes und nie von der inzwischen erreichten Macht ihrer Organisation. Vielleicht ist es der Segen dieser Stunde, dass wir genötigt werden, dies neu zu erkennen. Wir könnten ja meinen, nun sei die Kirche so mächtig geworden, dass sie schon, rein menschlich betrachtet, kaum noch aus dem Felde zu schlagen sei. Wie schnell solche Einbildung zerrinnen kann, wissen wir jetzt. Vielleicht mussten wir, musste die Kirche in „starke Bedrängnis" (l Thess 1,6) hineingeführt werden, um neu zu wissen, wovon sie lebt — auch heute von der Hoffnung des Senfkorns, nicht von der Kraft ihrer Pläne und ihrer Strukturen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen