20070903

Glaube als Stehen und Verstehen

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Indem ich das Begriffspaar Stehen - Verstehen demjenigen von Wissen - Machen gegenüberstelle, spiele ich auf ein letztlich unübersetzbares biblisches Grundwort über den Glauben an, dessen tiefsinniges Wortspiel Luther einzufangen versuchte in der Formel: "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht"; wörtlicher könnte man übersetzen: "Wenn ihr nicht glaubt (wenn ihr euch nicht an Jahwe festhaltet), dann werdet ihr keinen Halt haben" (Jes 7,9). Die eine Wortwurzel 'mn (amen) umfasst eine Vielfalt von Bedeutungen, deren Ineinander greifen und Differenziertheit die subtile Großartigkeit dieses Satzes ausmacht. Sie schließt die Bedeutungen Wahrheit, Festigkeit, fester Grund, Boden ein, des weiteren die Bedeutungen Treue, trauen, sich anvertrauen, sich auf etwas stellen, an etwas glauben; das Glauben an Gott erscheint so als ein Sicheinhalten bei Gott, durch das der Mensch einen festen Halt für sein Leben gewinnt. Glaube ist damit beschrieben als ein Standfassen, als ein vertrauendes Sichstellen auf den Boden des Wortes Gottes. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments (die so genannte Septuaginta) hat den vorhin genannten Satz nicht nur sprachlich, sondern auch gedanklich in den griechischen Bereich hinein übersetzt, indem sie formuliert: "Wenn ihr nicht glaubt, dann versteht ihr auch nicht". Man hat vielfach gesagt, in dieser Übersetzung sei bereits der typische Hellenisierungsprozess, der Abfall vom ursprünglich Biblischen am Werk. Glaube würde intellektualisiert; anstatt das Stehen auf dem festen Grund des zuverlässigen Wortes Gottes auszudrücken, werde er nun mit Verstehen und Verstand in Verbindung gebracht und damit auf eine ganz andere, ihm durchaus unangemessene Ebene verlegt. Daran mag etwas Wahres sein. Dennoch meine ich, dass aufs Ganze gesehen unter veränderten Vorzeichen das Entscheidende gewahrt ist. Stehen, wie es im Hebräischen als Inhalt des Glaubens angegeben wird, hat durchaus auch mit Verstehen etwas zu tun. Darüber werden wir gleich anschließend noch weiter reflektieren müssen. Einstweilen können wir einfach den Faden des vorhin Bedachten wieder aufgreifen und sagen, dass Glaube eine völlig andere Ebene meint als jene des Machens und der Machbarkeit. Er ist wesentlich das Sich anvertrauen an das Nicht-Selbstgemachte und niemals Machbare, das gerade so all unser Machen trägt und ermöglicht. Das heißt aber dann weiterhin, dass er auf der Ebene des Machbarkeitswissens, auf der Ebene des 'verum quia factum seu faciendum' weder vorkommt noch überhaupt vorkommen und darin gefunden werden kann und dass jeder Versuch, ihn dort 'auf den Tisch zu legen', ihn im Sinn des Machbarkeitswissens beweisen zu wollen, notwendig scheitern muss Er ist im Gefüge dieser Art von Wissen nicht anzutreffen, und wer ihn dennoch dort auf den Tisch legt, der hat etwas Falsches auf den Tisch gelegt. Das bohrende Vielleicht, mit dem der Glaube den Menschen allerorten und jederzeit in Frage stellt, verweist nicht auf eine Unsicherheit innerhalb des Machbarkeitswissens, sondern es ist die Infragestellung der Absolutheit dieses Bereichs, seine Relativierung als eine Ebene des menschlichen Seins und des Seins überhaupt, die nur den Charakter von etwas Vorletztem haben kann. Anders ausgedrückt: Wir sind mit unseren Überlegungen nun an einer Stelle angelangt, an der sichtbar wird, dass es zwei Grundformen menschlichen Verhaltens zur Wirklichkeit gibt, von denen die eine nicht auf die andere zurückgeführt werden kann, weil sich beide je auf einer gänzlich anderen Ebene abspielen.
Man darf hier vielleicht an eine Gegenüberstellung Martin Heideggers erinnern, der von der Dualität von rechnendem Denken und besinnlichem Denken spricht. Beide Denkweisen sind legitim und notwendig, aber eben deshalb kann keine von beiden in die andere hinein aufgelöst werden. Beides also muss es geben: das rechnende Denken, das der Machbarkeit zugeordnet ist, und das besinnliche Denken, das dem Sinn nachdenkt. Man wird dem Freiburger Philosophen wohl auch nicht ganz unrecht geben können, wenn er die Befürchtung ausdrückt, dass in einer Zeit, in der das rechnende Denken die staunenswertesten Triumphe feiert, der Mensch dennoch, ja vielleicht mehr als zuvor, von der Gedankenlosigkeit bedroht ist, von der Flucht vor dem Denken. Indem er allein dem Machbaren nachdenkt, steht er in Gefahr zu vergessen, sich selbst, den Sinn seines Seins zu bedenken. Freilich gibt es diese Versuchung zu allen Zeiten. So glaubte im 13. Jahrhundert der große Franziskanertheologe Bonaventura seinen Kollegen von der philosophischen Fakultät in Paris vorwerfen zu müssen, sie hätten die Welt zwar zu messen gelernt, aber verlernt, sich selbst zu messen. Sagen wir das gleiche nochmals anders: Glauben in dem Sinn, wie ihn das Credo will, ist nicht eine unfertige Form des Wissens, ein Meinen, das man dann in Machbarkeitswissen umsetzen könnte oder sollte. Er ist vielmehr eine von Wesen andere Form geistigen Verhaltens, die als etwas Selbständiges und Eigenes neben diesem steht, nicht rückführbar darauf und unableitbar davon. Denn der Glaube ist nicht dem Bereich der Machbarkeit und des Gemachten zugeordnet, obwohl er mit beiden zu tun hat, sondern dem Bereich der Grundentscheidungen, deren Beantwortung dem Menschen unausweichlich ist und die von Wesen her nur in einer Form geschehen kann. Diese Form aber nennen wir Glaube. Es scheint mir unerlässlich, dies in voller Deutlichkeit zu sehen: Jeder Mensch muss in irgendeiner Form zum Bereich der Grundentscheidungen Stellung beziehen, und kein Mensch kann das anders als in der Weise eines Glaubens tun. Es gibt einen Bezirk, der keine andere Antwort als die eines Glaubens zulässt, und gerade ihn kann kein Mensch ganz umgehen. Jeder Mensch muss auf irgendeine Art 'glauben'.
Der bisher imponierendste Versuch, die Verhaltensweise 'Glaube' dennoch der Verhaltensweise des Machbarkeitswissens einzuordnen, liegt im Marxismus vor. Denn hier stellt das Faciendum, die selbst zu erschaffende Zukunft, zugleich den Sinn des Menschen dar, so dass die Sinngebung, die an sich im Glauben vollzogen bzw. angenommen wird, auf die Ebene des zu Machenden transponiert erscheint. Damit ist ohne Zweifel die äußerste Konsequenz neuzeitlichen Denkens erreicht; es scheint geglückt, den Sinn des Menschen gänzlich ins Machbare einzubeziehen, ja, beides einander gleichzusetzen. Sieht man indes näher zu, so zeigt sich, dass auch dem Marxismus die Quadratur des Kreises nicht gelungen ist. Denn auch er kann das Machbare als Sinn nicht wissbar machen, sondern nur verheißen und damit dem Glauben zur Entscheidung anbieten. Was freilich diesen marxistischen Glauben heute so attraktiv und so unmittelbar zugänglich erscheinen lässt, ist der Eindruck der Harmonie mit dem Machbarkeitswissen, den er hervorruft. Kehren wir nach dieser kleinen Abschweifung zurück, um noch einmal und zusammenfassend zu fragen: Was ist das eigentlich, das Glauben? Darauf können wir jetzt antworten: Es ist die nicht auf Wissen reduzierbare, dem Wissen inkommensurable Form des Standfassens des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit, die Sinngebung, ohne die das Ganze des Menschen ortlos bliebe, die dem Reden und Handeln des Menschen vorausliegt und ohne die er letztlich auch nicht rechnen und handeln könnte, weil er es nur kann im Ort eines Sinnes, der ihn trägt. Denn in der Tat: der Mensch lebt nicht vom Brot der Machbarkeit allein, er lebt als Mensch und gerade in dem Eigentlichen seines Menschseins vom Wort, von der Liebe, vom Sinn. Der Sinn ist das Brot, wovon der Mensch im Eigentlichen seines Menschseins besteht. Ohne das Wort, ohne den Sinn, ohne die Liebe kommt er in die Situation des Nicht-mehr-leben-Könnens, selbst wenn irdischer Komfort im Überfluss vorhanden ist. Wer wüsste nicht, wie sehr diese Situation des 'Ich kann nicht mehr' inmitten des äußeren Überflusses auftauchen kann? Sinn aber ist nicht abkünftig von Wissen. Ihn auf diese Art, das heißt aus dem Beweiswissen der Machbarkeit, herstellen zu wollen entspräche dem absurden Versuch Münchhausens, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen zu wollen. Ich glaube, dass in der Absurdität jener Geschichte die Grundsituation des Menschen sehr genau zum Vorschein kommt. Aus dem Sumpf der Ungewissheit, des Nicht-leben-Könnens zieht sich niemand selbst empor, ziehen wir uns auch nicht, wie Descartes noch meinen konnte, durch ein 'Cogito ergo sum', durch eine Kette von Vernunftschlüssen, heraus. Sinn, der selbst gemacht ist, ist im letzten kein Sinn. Sinn, das heißt der Boden, worauf unsere Existenz als ganze stehen und leben kann, kann nicht gemacht, sondern nur empfangen werden. Damit sind wir, von einer ganz allgemeinen Analyse der Grundhaltung Glaube ausgehend, unmittelbar bei der christlichen Weise des Glaubens angelangt. Christlich glauben bedeutet ja, sich anvertrauen dem Sinn, der mich und die Welt trägt; ihn als den festen Grund nehmen, auf dem ich furchtlos stehen kann. Etwas mehr in der Sprache der Tradition redend könnten wir sagen: Christlich glauben bedeutet unsere Existenz als Antwort verstehen auf das Wort, den Logos, der alle Dinge trägt und hält. Er bedeutet das Jasagen dazu, dass der Sinn, den wir nicht machen, sondern nur empfangen können, uns schon geschenkt ist, so dass wir ihn nur zu nehmen und uns ihm anzuvertrauen brauchen. Dementsprechend ist christlicher Glaube die Option dafür, dass das Empfangen dem Machen vorangeht - womit das Machen nicht abgewertet oder gar für überflüssig erklärt wird. Nur weil wir empfangen haben, können wir auch 'machen'. Und weiterhin: Christlicher Glaube - wir sagten es schon - bedeutet die Option dafür, dass das Nichtzusehende wirklicher ist als das zu Sehende. Er ist das Bekenntnis zum Primat des Unsichtbaren als des eigentlich Wirklichen, das uns trägt und daher ermächtigt, mit gelöster Gelassenheit uns dem Sichtbaren zu stellen - in der Verantwortung vor dem Unsichtbaren als dem wahren Grund aller Dinge. Insofern ist freilich - man kann es nicht leugnen - christlicher Glaube in doppelter Hinsicht ein Affront gegen die Einstellung, zu der uns die heutige Weltsituation zu drängen scheint. Als Positivismus und als Phänomenologismus lädt sie uns ein, uns auf das 'Sichtbare', das 'Erscheinende' im weitesten Sinn des Wortes zu beschränken, die methodische Grundeinstellung, der die Naturwissenschaft ihre Erfolge verdankt, aufs Ganze unseres Wirklichkeitsbezugs auszudehnen. Als Techne hinwiederum fordert sie uns auf, uns auf das Machbare zu verlassen und davon den Boden zu erhoffen, der uns trägt. Der Primat des Unsichtbaren vor dem Sichtbaren und der des Empfangens vor dem Machen läuft stracks dieser Grundsituation zuwider. Darauf wohl beruht es, dass uns der Sprung des Sichanvertrauens an das Nichtzusehende heute so schwer wird. Und doch ist die Freiheit des Machens wie diejenige, das Sichtbare durch methodisches Forschen in Dienst zu nehmen, letztlich erst ermöglicht durch die Vorläufigkeit, in die christlicher Glaube beides verweist, und durch die Überlegenheit, die er so eröffnet hat.


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Literatur und Quellenhinweis:

Joseph Ratzinger
Einführung in das Christentum

Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis
München, 1968

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